Neue Mobilitätskonzepte

Straßenkampf oder Verkehrswende?

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2025

Bleibt das Verbrenner-Aus bis 2035, oder kippt die neue Bundesregierung die Maßnahme? Können Radfahrende auf mehr und bessere Radwege hoffen, oder müssen sie sich weiter durch den Verkehr schlängeln? Und bleibt das beliebte Deutschlandticket? Die Wende hin zu einer neuen Mobilität in Deutschland ist geprägt von einem politischen Hin und Her. Dabei ist das Gros der Bürger gar nicht gegen eine sinnvolle Neuausrichtung des Verkehrs per se.

Infrastruktur von oben.
Ein visionäres Mobilitätskonzept muss die Bedürfnisse aller im Blick haben. Foto: iStock / metamorworks

So richtig zufrieden sind die Deutschen mit der Verkehrswende bisher nicht. Das zeigt zumindest die Umfrage „MobilKULT“, für die das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI im vergangenen Jahr zum vierten Mal 2.500 Menschen befragt hat. Ergebnis: Vor allem Vielfahrende und Menschen auf dem Land lehnen die Verkehrswende mehrheitlich ab; Wenigfahrende und Städter stimmen dem Konzept einer ganzheitlich gesteuerten Mobilitätswende dagegen etwas häufiger zu. „Besserer Zugang zu Infrastrukturen für alternative Mobilität geht mit einer positiveren Einstellung zur Mobilitätswende einher“, schlussfolgern die Forschenden. Außerhalb der Städte, wo das eigene Auto über die Mobilität bestimmt und wo der Zugang zu alternativen Verkehrsmitteln und -formen häufig schlechter ist, sind die Menschen skeptischer. Dabei sind die Deutschen eigentlich gar nicht gegen eine sinnvolle und nachhaltige Neuausrichtung der Mobilität. Aber: „Die Verkehrswende ist bisher für die Bevölkerung wenig spürbar und hat kaum Auswirkungen auf den Alltag“, monieren die Forschenden. Die große Ausnahme ist das Deutschlandticket: Es ist über alle vier Befragungswellen die beliebteste Maßnahme zur Verkehrswende, hat zu Mobilitätsverlagerungen vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr beigetragen und verstärkt bei denen, die es nutzen, die nachhaltige Verkehrsmittelwahl – und das, obwohl seine Einführung bisher nicht mit Verbesserungen im ÖPNV-Angebot einherging. Und ferner: „Zu den weiteren Maßnahmen, die die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, gehören autofreie Innenstädte, ein Tempolimit auf Autobahnen sowie die Förderung von Homeoffice, um Wege zu vermeiden.“ Allerdings: „Für viele bedeutet Autofahren, Freiheit und Unabhängigkeit im Alltag zu haben und die Möglichkeit, persönliche Vorlieben bei der Wohnsituation zu realisieren.“ Gerade im ländlichen Raum bietet das Auto zudem mitunter die einzige Möglichkeit, mobil zu sein.

Es braucht eine Vision 

Was vielen Deutschen fehlt, ist ein ganzheitliches, durchdachtes, visionäres Mobilitätskonzept, das alle mitnimmt, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensrealitäten der Menschen anerkennt und Vorzüge bietet, die heute vielleicht noch gar nicht gesehen werden. Vor allem aber muss es Verlässlichkeit bieten. Denn den meisten geht es in puncto Mobilität vor allem darum, wie sie am besten schnell, entspannt, sicher und bezahlbar von A nach B kommen. Welche Verkehrsmittel sie dafür nutzen, ist zweitrangig. Das muss die neue Bundesregierung berücksichtigen, wenn sie die Planung der Mobilität von Morgen in Angriff nimmt. Das Deutschlandticket als beliebteste und für fast alle erschwingliche Maßnahme infrage zu stellen, wäre dagegen genauso ein Fehler, wie es das Streichen der Kaufprämie für E-Autos vor anderthalb Jahren war. Und auch die Diskussionen um das Verbrenner-Aus und das Aus vom Verbrenner-Aus oder das Gegeneinander-Ausspielen von Auto- und Radfahrenden sowie Zufußgehenden schaffen Unsicherheit und Frustration. 

Chance für alle

Stattdessen plädiert der Thinktank Agora Verkehrswende dafür, klimaneutrale Mobilität als Zukunftsprojekt ressortübergreifend zu begreifen. „Die Verkehrswende ist eine Aufgabe für das gesamte Bundeskabinett“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. Mit ihr lasse sich industrielle Wettbewerbsfähigkeit sichern und soziale Gerechtigkeit stärken, könne doch ein guter Zugang zu sauberer, sicherer und bezahlbarer Mobilität für alle dazu beitragen, soziale Teilhabe zu ermöglichen, Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern sowie Kosten und Chancen der Transformation gerecht zu verteilen – und nicht zuletzt den Wirtschaftsstandort Deutschland fit zu machen für die Zukunft. 

Für die erfolgreiche Transformation gerade der Automobilindustrie brauche es Agora zufolge ein verbindliches Bekenntnis zur Verkehrswende mit sinnvollen Maßnahmen. So gelte es, die regulatorischen Rahmenbedingungen wie die europäischen CO₂-Flottengrenzwerte für Pkws zu halten und die Industrie zu unterstützen, anstatt die Regulierung zu schwächen. Dazu gehöre zum Beispiel eine Strategie zur Ansiedlung neuer Wertschöpfungsbereiche wie der Batterieherstellung. CO₂-Emissionen sollten entlang der Lieferketten erfasst, die Kreislaufwirtschaft zum Hightech-Sektor weiterentwickelt und Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme gefördert werden. Zudem brauche es auch einen Aktionsplan zur Steigerung der Nachfrage nach Elektroautos. Neben einer Reform von Kfz-Steuer und Dienstwagenbesteuerung und Zielen für gewerbliche Flotten sei dabei auch ein nach Einkommen differenziertes Anschaffungsprogramm für elektrische Privat-Pkws wichtig. „Nur eine schnelle Transformation wird erfolgreich sein“, sagt Hochfeld. „Jegliches Verlangsamen wird die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland mittel- und langfristig schwächen.“

Neue Mobilitätskonzepte: Verlässliche Rahmenbedingungen schaffen

Was es jetzt braucht, sind verlässliche Rahmenbedingungen für Industrie, Unternehmen und Bürger. Denn nur wenn die Menschen sich auf Veränderungen einstellen und anpassen können, werden sie diese auch akzeptieren. Und nicht zuletzt gilt es, Vorreiter nicht auszubremsen. Schließlich haben sich gerade Unternehmen in den vergangenen Jahren bereits auf den Weg gemacht, den Verkehr emissionsfrei und klimaneutral aufzustellen. Wo die Entfernungen kurz sind, kommen sie dem Wunsch ihrer Mitarbeitenden nach und bieten immer öfter Diensträder statt Dienstwagen oder flexible Mobilitätsbudgets, die sich für den ÖPNV genauso wie für Car- und Bikesharing nutzen lassen. In weitläufigen ländlichen Gebieten elektrifizieren sie dagegen die Flotten und rüsten Firmenparkplätze mit Ladesäulen aus. 

Sie machen dabei vor, worauf es ankommt: nämlich zu bedenken, dass Menschen auf dem Land andere Anforderungen haben als Menschen in der Stadt. In innerstädtischen Räumen geht es eher um sicheres und zügiges Vorankommen, um saubere Luft und Platz für alle. Hier sind die Menschen eher bereit, umzusteigen und das Verkehrsmittel zu nutzen, das sie am schnellsten ans Ziel bringt. So braucht es im innerstädtischen Raum vor allem sichere und emissionsfreie Verkehrsmittel, insbesondere aufeinander abgestimmte öffentliche Verkehrsmittel und Umsteigemöglichkeiten an Knotenpunkten sowie eine digitale Plattform, die all die verschiedenen Fortbewegungsformen barrierefrei miteinander verknüpft und nutzbar macht. Auf dem Land hingegen gleicht ein öffentlicher Nahverkehr mit Bussen, die zu festgelegten Zeiten festgelegte Routen abfahren, einem Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Vielmehr braucht es einen elektrisch betriebenen On-Demand-Verkehr – also Sammelfahrzeuge, die dann fahren, wenn sie gebraucht werden – und zwar zum ÖPNV-Preis. 

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